Mietsche

Wort zum Tage
Mietsche
22.06.2019 - 06:20
28.02.2019
Autor des Textes: Olav Metz
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Kurz vor meinem Urlaub erreicht mich die Nachricht, dass Mietsche im Sterben liegt. Mietsche heißt eigentlich Maria und ist inzwischen 93 Jahre alt. 1946 ist sie aus dem Sudetenland hierher auf die Insel Rügen gekommen und wir kennen uns seit vielen Jahren. Sie war immer wie ein Stehaufmännchen, hat sich auch nach schweren Krankheiten immer wieder hochgerappelt. Aber jetzt, so sagt ihre Nichte, geht es wohl doch zu Ende.

Deshalb mache ich einen Tag vor meinem Urlaub noch einen Besuch bei Mietsche. Die Hintertür ist wie immer offen und sie empfängt mich vom Bett aus mit der Entschuldigung, dass sie heute leider nicht aufstehen könne. Ich habe ihr eine Kerze mitgebracht und wir erzählen über die Nachbarn, die ihr helfen, und dass es ihr gestern schon wieder viel besser ging. Am Ende sprechen wir gemeinsam den 23. Psalm und ich segne sie. Dann breche ich auf und sie reicht mir die Hand und sagt wie so oft zum Abschied: „Vergelt‘s Gott.“

Kurz nach meinem Urlaub steht die Nichte wieder bei mir vor der Tür. „Ist Mietsche gegangen?“, frage ich. – „Ja, vor vier Tagen ist sie friedlich eingeschlafen.“ Ich bitte die Nichte herein. Gemeinsam schauen wir auf Mietsches bewegten Lebensweg zurück und bereiten alles für die Beerdigung vor. Ich erinnere mich auch nochmal an unsere letzte Begegnung und dass ich froh bin, vor meinem Urlaub doch noch bei ihr gewesen zu sein.

Darauf zögert die Nichte einen Moment. Dann aber sagt sie: „Sie sind noch ganz oft bei ihr gewesen.“ Und weil ich wohl etwas verdutzt schaue, erklärt sie: „Ich bin ja jeden Tag mehrmals zu ihr rübergegangen. Und ich habe sie immer gefragt, ob sie denn heute schon Besuch hatte. Und wissen sie, was sie meistens geantwortet hat: ‚Der Pastor war da und hat mich gesegnet.‘“

In der Bibel heißt es: Die auf den Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt. (Jesaja 40, 31) Mit diesem Bibelwort haben wir Mietsche wenige Tage später zu ihrer letzten Ruhe geleitet. Weil dieses Gottvertrauen sie ein Leben lang begleitet hat; 93 Jahre lang hat sie daraus ihre Kraft geschöpft. Weil dieses Gottvertrauen sie auch auf dem letzten Wegstück nicht verlassen hat; bis zum Schluss hat sie seinen Segen gespürt. Und weil sie dieses Vertrauen weitergegeben hat, an mich zum Beispiel mit ihrem letzten Wunsch für mich: „Vergelt’s Gott!“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

28.02.2019
Autor des Textes: Olav Metz