Blowin‘ in the Wind

Bob Dylan

Gemeinfrei via unsplash / weston-m

Blowin‘ in the Wind
Bob Dylans Friedenslieder
05.05.2024 - 08:35
22.02.2024
Uwe Birnstein

von Uwe Birnstein

Über die Sendung:

Es gehört zu Friedens-Demos und wird an Lagerfeuern gesungen: „The answer my friend is blowin‘ in the wind…“ Die Inspiration für den Song fand Bob Dylan in der Bibel.

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Sie haben Augen zu sehen und sehen nicht; Ohren zu hören und hören nicht! (Ezechiel 12,2)

Einst ärgerte sich der israelitische Prophet Ezechiel über die Starrköpfigkeit seiner Landsleute: Würden sie nur einmal ihre Sinne öffnen für die Ungerechtigkeiten, die geschehen! Rund 2.600 Jahre später, am 16. April 1962, erkannte der jüdische Folk-Musiker Bob Dylan in Ezechiel einen biblischen Bruder im Geiste. Dylan, gerade mal 21 Jahre alt, kannte die biblischen Geschichten gut. Sie rührten ihn an. Was Ezechiel seinerzeit anprangerte, trieb Dylan um: Noch immer herrscht Unrecht. Noch immer toben Kriege. Noch immer lassen Menschen das alles geschehen, schauen weg, hören weg. Menschen verhungern. Im Krieg in Vietnam in den 60er Jahren sterben tausende Menschen in aussichtslosen Kämpfen. Und in Bob Dylans Heimat, den USA, leiden Schwarze unter Rassismus.

 

Gegen 17 Uhr packte Bob Dylan seine Gitarre aus. Er wollte seine Song-Idee umsetzen. Eine Melodie dazu hatte er bereits im Kopf: „No More Auction Block for Me“, ein Spiritual, einst ein Hoffnungslied US-amerikanischer Sklaven. Dessen Melodiezeile verwendete er für seine Strophen, den Refrain komponierte er neu. Für den Text knüpfte er an die Gedanken des biblischen Propheten Ezechiel an, der seinerzeit die Hartherzigkeit und Ignoranz der Menschen beklagt hatte. Dylan dichtete die Fragen dazu, die ihm am Herzen lagen:

How many times must a man look up
Before he can see the sky?
Yes’n, how many ears must one man have
Before he can hear people cry?
Yes’n, how many deaths will it take till he knows
that to many people have died?
The answer, my friend, is blowin in the wind, the answer is blowin in the wind.

 

Wie oft muss ein Mensch emporblicken, bis er den Himmel sieht?
Wie viele Ohren muss jemand haben, bevor er Menschen weinen hört?

Auch die biblische Geschichte der Arche Noah schwirrte Dylan im Kopf herum: Als die Sintflut zurückgewichen war, hatte Noah eine Taube ausgeschickt, um zu prüfen, ob die Wasser schon wieder Land freigaben. Was, wenn die Taube heute fliegen würde? Würde sie im Meer der Gewalt einen friedlichen Platz finden?

Wie viele Meere muss eine weiße Taube überqueren, bevor sie im Sand schlafen kann?

Brennende Fragen. Und die Antworten?

The answer, my friend, is blowin in the wind, the answer is blowin in the wind.

 

Die Antwort, mein Freund, sie weht im Wind. Die Antwort weht im Wind.

 

Eine Stunde lang feilte Bob Dylan an jenem Tag im Café noch am neuen Song, dann war er fertig.

Schnell wurde der Song zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Bob Dylan wurde – gemeinsam mit der Sängerin Joan Baez – zum Star der Protestbewegung. 1963 sang er sogar beim „Marsch auf Washington“, bei dem sich 100.000 Menschen trafen und die bewegende Rede des Baptistenpfarrers Martin Luther King hörten: „I have a dream“, „Ich habe einen Traum“.

Bob Dylan fühlte sich allerdings nicht wohl in der Rolle des Protestsängers. Bald spielte er lieber rockige Songs und stieß seine Fans damit vor den Kopf.

Doch sein Lied „Blowin‘ in the Wind“ begleitet die Friedensbewegung bis heute. Es wird auf Demonstrationen und an Lagerfeuern gesungen. Erstaunlich, dass die Fragen und Gedanken eines biblischen Propheten bis heute wirken und Menschen ins Herz treffen. „Sie haben Augen zu sehen und sehen nicht; Ohren zu hören und hören nicht!“ How many times…

Vielleicht liegt die Erklärung für den Erfolg des Songs darin, dass Dylan seine Friedenssehnsucht im Glauben gründet. Der biblische Geist schwebt in seinem Lied mit. Er verleiht ihm nahezu prophetische Kraft.

 

Bob Dylan hatte schon in jungen Jahren viel über Gott nachgedacht. Er litt unter den Kriegen der Welt – und suchte in der Bibel nach Orientierung. Und er machte eine erschreckende Beobachtung: Viele Soldaten zogen mit der festen Überzeugung in den Krieg, Gott auf ihrer Seite zu haben. Auf seltsame Weise vergaßen sie das Gebot der Feindesliebe, setzten stattdessen auf Gewalt. Seine Empörung kleidete Dylan wiederum in ein Lied: „With God on Our Side“ - „mit Gott auf unserer Seite“.

Mit großem Selbstbewusstsein – aber wenig Pathos stellte er sich vor:

 

Oh my name it ain't nothin'
My age it means less
The country I come from
Is called the Midwest
I was taught and brought up there
The laws to abide
And that land that I live in
Has God on its side

 

Mein Name tut nichts zur Sache.

Mein Alter bedeutet noch weniger.

Das Land, aus dem ich komme,

nennt man den Mittleren Westen.

Dort wuchs ich auf und man brachte mir bei,

Dass ich die Gesetze zu achten habe

Und dass dem Land, in dem ich lebe,

Gott zur Seite sei.

 

Dylan schrummelt die Gitarre, singt mit fester, anklagender Stimme. Vor seinem Mund hat er auf einem Gestell eine Mundharmonika. Ihre schrillen Töne schneiden sich in die Ohren des Publikums. Dylan singt nicht von der Liebe. Auch weist er nicht einfach auf die Ungerechtigkeit der Welt hin. Er beschreibt, dass in jedem Krieg die stärkere Partei meint, Gott auf ihrer Seite zu haben.

Die Kavallerien der weißen Siedler metzelten die Indigenen Amerikas dahin und glaubten, dass Gott auf ihrer Seite wirke. Im Zweiten Weltkrieg haben die Deutschen sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordet. Aber danach hat Amerika den Deutschen vergeben. Sie seien nun Freunde und hätten ebenfalls Gott auf ihrer Seite. Amerika würde im Fall des Falles mit chemischen Massenvernichtungswaffen gegen Russland vorgehen – ebenfalls davon überzeugt, dass Gott auf seiner Seite stehe.

Bob Dylan trägt unaufgeregt vor. Doch seine Empörung ist zu spüren und zu hören. Dass Kriege ungerecht sind – diese Tatsache steht gar nicht in Frage. Dass aber die Sieger ihre Brutalität auch noch mit Gott rechtfertigen: das bringt Dylan auf.

Am Glauben liegt Bob Dylan viel. Er ist ihm zu wichtig, als dass er ihn von Kriegstreibern der Welt durch den Schmutz ziehen lassen will. Doch damit nicht genug. Am Ende gibt er seinem Lied eine theologische Tiefe, die einem 22-jährigen Studienabbrecher kaum jemand zugetraut hätte.

 

Through many dark hour / I've been thinkin' about this
That Jesus Christ was / Betrayed by a kiss
But I can‘t think for you / You'll have to decide
Whether Judas Iscariot / Had God on his side.

 

In mancher dunklen Stunde habe ich darüber nachgedacht,
dass Jesus Christus mit einem Kuss verraten wurde.
Ich kann für dich nicht denken, du musst selbst entscheiden,
ob Judas Iskarioth Gott auf seiner Seite hatte.

 

Plötzlich wird aus der Anklage eine sehr persönliche Frage. Und die beschäftigt Theologinnen und Theologen bis heute: War Judas die Ausgeburt des Bösen – oder war er so etwas wie eine Schachfigur im großen Spiel Gottes? Trefflich lässt sich sinnieren über diese Frage. Wenn die Menschheit nur durch den Kreuzestod Jesu erlöst werden konnte – dann hätte Judas eine wichtige Rolle im Heilsgeschehen. Ohne seinen Verrat wäre Jesus nicht gekreuzigt und auferstanden!

Dylan antwortet nicht. Er präsentiert sich nicht als Lehrer. Doch damit, dass er so eine Frage aufwirft, zeigt er beachtliche Tiefe. Er ist nicht nur der Protestsänger gegen den Krieg – in diese Schublade hatten ihn viele nach seinen ersten Schallplatten eingeordnet. Nein: Dylan sucht selbst nach Antworten. In der letzten Strophe seines Liedes beschreibt er sich als „höllisch erschöpft“ und „verwirrt“. Nur eines weiß er:

 

Wenn Gott auf unsrer Seite ist,wird er den nächsten Krieg beenden.

Das Ende seines Songs birgt die Erkenntnis: Nur der kann sich auf Gottes Seite wissen, der Kriege verhindert oder beendet.

Eine weitere Hymne der Friedensbewegung stammt von Bob Dylan. Auch dieser Song verbindet Glaube und Frieden.

Knock, knock, knockin‘ on heaven‘s door. Knock, knock, knockin‘ on heaven‘s door.

An die Himmelstür klopfen: Das hat nicht unbedingt etwas mit Frieden zu tun. Als Bob Dylan das Lied schrieb, hatte er anderes im Sinn. Für sein Westernfilm-Projekt „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ bat Regisseur Sam Peckinpah Bob Dylan nicht nur, eine Rolle zu übernehmen, sondern auch die Filmmusik zu schreiben. Dylan lieferte ab – aber nicht herkömmliche Filmmusik, sondern typische Dylan-Songs mit Folk-Feeling und nasaler Stimme.

Die Filmcrew war nicht begeistert. Dennoch setzte Dylan sich durch. So kam es, dass zu einer der emotionalsten Stellen des Films ein Dylan-Song zu hören ist. Der alte Sheriff Colin Baker ist von einer Kugel getroffen worden. Er wankt, fällt hin und reißt sich seinen Sheriffstern von der Weste, während Dylan singt:

Mama put my guns in the ground. I can‘t shoot them anymore.

Mama, vergrab meine Waffen in der Erde,
ich kann sie nicht mehr benutzen.

 

Die Kamera fährt nah ans Gesicht und das Publikum ahnt: Hier ist ein wirklich Guter gestorben, der an der Himmelstür ganz gewiss nicht abgewiesen wird. Später deuteten Friedensbewegte vieles in den Western-Song hinein: Dass da ein Soldat stirbt, der seine Uniform abstreift, seine Waffen wegwirft und alle Soldaten der Welt dazu aufruft, das Gleiche zu machen – und zwar nicht erst, wenn sie schon im Sterben liegen.

 

In drei Wochen wird Bob Dylan 83 Jahre alt. Noch immer gibt er Konzerte. Der Frieden ist ihm auch im Alter ein wichtiges Anliegen geblieben. In einem seiner neueren Songs beschreibt er sich sogar als einen, der Frieden und Harmonie predigt. Mag sein, dass er das dann auch einst an der Himmelstür sagt, wenn er klopft.

Wer den Spuren der spirituellen Lebensreise Bob Dylans nachgeht, wird verblüffende Perspektiven entdecken. Sie haben mit Eigensinn zu tun und mit einer Frömmigkeit, die die herkömmlichen Grenzen zwischen Gott und Welt überschreiten. Sie sind wie Spiegel, die alle Fragen zurückwerfen auf diejenigen, die sie hören. Zum Guru taugt Dylan nicht. Wohl aber zu einem merkwürdigen Frommen, dem nicht nur der irdische Frieden ein Anliegen ist, sondern auch der Friede mit sich selbst. Und mit Gott.

How many times must a man look up
Before he can see the sky?
And how many ears must one man have
Before he can hear people cry?

How many deaths will it take till he knows

that too many people have died?

The answer, my friend, ist blowin‘ in the wind.

The answer is blowin‘ in the Wind.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Blowin in the Wind - Instrumental Mundharmonika
  2. Blowin‘
  3. Blowin‘ in the Wind
  4. Blowin‘ in the Wind (Mundharmonika)
  5. With God on our Side
  6. With God on Our Side
  7.  With God on Our Side (Mundharmonika)
  8. Knockin‘ on Heaven‘s Door
  9. Knockin‘
 10. Knockin‘ on Heavens Door (instrumental)
 11. Blowin in the Wind

 

22.02.2024
Uwe Birnstein